Menü Schließen
12.07.2017

Wo Euro­pas „Kin­der­mäd­chen“ beson­ders streng sind

Essen, Trinken, Rauchen – viele EU-Länder glauben, dass ihre Bürger nicht in der Lage sind, selbst zu entscheiden, was und wie sie konsumieren möchten. Steuern, Verbote und Warnhinweise sollen das persönliche Gesundheitsmanagement der Menschen regeln. Die Ergebnisse des Nanny State Index 2017, über den RE:THINK hier bereits berichtete, verdeutlichen die Unterschiede in den einzelnen Ländern. Das marktliberale Institute of Economic Affairs (IEA) verglich erstmals 2016, in welchem Ausmaß die 28 EU-Länder den Konsum von Alkohol, Zigaretten, E-Zigaretten, Fast Food und Softdrinks regulieren. Eine einheitliche EU-Regelung gibt es (bisher) nicht. Wo liegen die auffälligsten Differenzen? Wir haben uns die am stärksten und am wenigsten regulierten Länder mal genauer angeschaut.

Finnland und Schweden an der Spitze der Regulierung

Was hat Finnland, das Tschechien nicht hat? Die Finnen haben ALKO. Was wie ein hochprozentiger Schnaps aus den arktischen Gewässern klingt, ist vielmehr eine staatliche Aktiengesellschaft, die in Finnland über eine Exklusivlizenz zum Einzelhandelsverkauf von Getränken mit einem Alkoholgehalt von mehr als 4,7 Volumenprozent verfügt. Nur alkoholische Getränke mit weniger als 4,7 Prozent können in normalen Lebensmittelgeschäften erworben werden.

Finnland steht mit einer Reihe von Lebensmittel- und Getränkesteuern an der Spitze der „Nanny States“, zum Beispiel auf kohlensäurehaltige Getränke, Konfekt, Schokolade und Eis. Darüber hinaus ist hier der Verkauf von E-Zigaretten verboten. Nicht nur geografisch ein Nachbar Finnlands: Schweden steht an zweiter Stelle des Nanny State Index – vor allem wegen seiner restriktiven Alkoholpolitik. Es ist neben Finnland das einzige europäische Land, das über ein staatliches Lizenzmonopol verfügt. In Schweden gibt es die höchsten Spirituosensteuern, Werbung für Alkohol in Fernsehen und Radio ist verboten.

Deutschland und Tschechien: paradiesische Zustände im Vergleich

Tschechien scheint im Gegensatz zu den nordischen Ländern ein Paradies für Bierliebhaber zu sein: Der Bierkonsum pro Kopf ist im weltweiten Vergleich am höchsten und die Biersteuer zählt im europäischen Vergleich zu den niedrigsten. Und Europas letzte Rauchbastion ist erst dieses Jahr gefallen: Tschechien führte als letzter EU-Staat am 31. Mai 2017 das Rauchverbot in Gaststätten ein. An vorletzter Stelle des Nanny State Index steht Deutschland. Die Gründe für den vergleichsweise geringen Bevormundungsgrad resultieren vor allem aus niedrigeren Alkoholsteuern und der (eingeschränkten aber erlaubten) Werbung für alkoholische Getränke. E-Zigaretten sind für Erwachsene frei käuflich, werden öffentlich beworben und auch Zigarettenautomaten findet man in Deutschland noch hier und da.

Fazit: Ein Kontinent, viele Regeln, sinnvoller Nutzen?

Die EU ist bemüht, einheitliche Gesetze auf den Weg zu bringen. Der Nanny State Index zeigt jedoch große Unterschiede in der Art und Weise, für welche Restriktionen zur Bürgerregulierung sich die nationalen Regierungen entscheiden. Fest steht: Die freie Kaufentscheidung der Verbraucher wird zunehmend eingeschränkt. 22 der 28 untersuchten Länder weisen 2017 im Vergleich zum Vorjahr einen höheren Wert auf, d. h., die Möglichkeiten der individuellen Entscheidungsfreiheit haben sich zugunsten weiterer Verbote verschlechtert.

Deren Nutzen stellen die Analytiker des IEA indes infrage: Ein hoher Nanny State Index beschere einem Land nicht zwingend eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung. Demnach werde in Ländern mit scharfen Alkoholgesetzen nicht weniger Alkohol konsumiert, strenge Tabakregulierung führe nicht zu weniger Rauchern. Wir von Reemtsma sind für Information und Aufklärung statt Regulierung und Bevormundung. Der Nanny State Index liefert viele Aspekte in Richtung „Bevormundungsdebatte“, die wir bei RE:THINK stetig verfolgen und diskutieren wollen.