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21.04.2017

Wie­so, wes­halb, war­um – wer genießt, ist dumm?

Gesunde Ernährung vs. Fastfood und Fett, Gegenüberstellung

Noch zu seinen Lebzeiten gab es kaum einen Artikel, kaum eine Reportage, die Altkanzler Helmut Schmidt nicht mit seinem öffentlichen Zigarettenkonsum in Zusammenhang stellte. Würde er wieder die ganze Zeit rauchen, fragte man sich stets vor seinen Fernsehauftritten. Natürlich hat er. Doch welche Aussage, welche Intention steckt dahinter, wenn sich eine Person des öffentlichen Lebens über alle gesellschaftlichen Regeln und Gebote des Rauchens stets hinwegsetzt und sich dermaßen autark in ihrem Tun und in ihren Entscheidungen verhält? Ein bewusster Boykott des Trends zur Selbstoptimierung?

Selbstoptimierung: Konsumfreiheit ohne Grenzen?

Die Menschen rauchen aus vielfältigsten Gründen, doch wofür steht das Rauchen heute? Fest steht: Raucher polarisieren. Das Auftreten rauchender Menschen in der Öffentlichkeit trägt dazu bei, wie Raucher vom Rest der Gesellschaft wahrgenommen werden. Nicht nur Schmidt vertrat mit seiner Persönlichkeit einen ganz persönlichen (Raucher-)Habitus. Der erwachsene Mensch geht in der Regel aufgeklärt durchs Leben und ist sich seines Tuns durchaus bewusst.

Ernährung, Erziehung, Lifestyle – mediale und gesellschaftliche Aufklärung allerorten, die uns, ganz im Sinne der Selbstoptimierung, zeigen, wie die ideale Lebensform auszusehen hat. „Die Formel für ein gesundes Leben“, titelte DER SPIEGEL beispielsweise in Ausgabe 12/2017. Ganz klar: Nach der Pilates-Session finden Gemüse, Smoothie und veganer Brotaufstrich wie selbstverständlich ihren Platz im Einkaufswagen – das macht sich auch auf Instagram gut. Doch was ist das? Zu Hause gesellen sich zu den gesunden Sachen plötzlich trotzdem Chips (natürlich mit Meersalz) und Schokolade (aber mindestens 80 % Kakaoanteil). Es scheint, als hätten sich die Menschen trotz Anleitungen für die „richtige“ Lebensweise eine gewisse Freude am Genuss bewahrt. Nur wirklich erzählen (oder sogar „instagramen“) möchte man das nicht. So viel zu gesellschaftlicher Wahrnehmung – und zur Selbstoptimierung.

Um ausbalanciert gute Entscheidungen treffen zu können, ist eine informative Aufklärung unbedingt notwendig, keine Frage. Wie das Wissen darüber subjektiv umgesetzt wird und ob es für jeden umsetzbar und, ja, überhaupt gewünscht ist, darüber lässt sich diskutieren. Und zwar auf allen Konsumebenen.

Auch beim Rauchen gilt: die Frage nach dem Warum

Umfragen wie der jährliche „Drogen- und Suchtbericht“ der Bundesregierung zum Thema Rauchen in Deutschland sind stark auf das WER und WIE ausgerichtet. Nach dem WARUM fragt keine offizielle Studie. Dabei fänden sich hier vielleicht aufschlussreiche Ansätze für eine frühzeitige Prävention, gerade im Jugendalter. Ein Beispiel: Laut „Jahrbuch Sucht 2017” wurden 2016 in Deutschland 7,7 Prozent weniger Zigaretten konsumiert als im Jahr zuvor. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene rauchten weniger als in den Jahren zuvor.

Es ist davon auszugehen, dass nicht alle aus den gleichen Gründen aufgehört haben bzw. noch immer zur Zigarette greifen. Daher ist die Frage nach dem „Warum“ immer auch eine richtige in Sachen Prävention. Der Bericht der Bundesregierung unterscheidet zwischen gelegentlichem, täglichem und starkem Rauchen. Eine gesellschaftlich ebenso relevante Frage wäre aber: Warum rauchst du? Die Antworten wären mit Sicherheit universell: „Weil ich will“, „Weil ich es mir erlaube“, „Weil es mich an ‚früher’ erinnert“, „Weil ich mir Auszeiten gönne“ …

Eine Spiegelung dieser Gratwanderung zwischen Genuss und Verheimlichung beschrieben WELT-Redakteure im Dezember 2016 in sehr persönlichen und ehrlichen Gedanken zum „Eros des Rauchens“. Wer bei der Selbstoptimierung nicht mitmacht, eckt an. Auf der anderen Seite genießen Menschen, die sich über Autoritäten und Konventionen hinwegsetzen, oft hohes gesellschaftliches Ansehen – wie das Beispiel Helmut Schmidt zeigt.

Wofür steht Rauchen heute?

Ganz individuell sind die entscheidenden Momente, sehr persönlich die Emotionen eines jeden einzelnen, die mit einer Zigarette in Verbindung gebracht werden. Es steht zur Debatte, ob eine öffentliche Diskussion über gesundheitliche Risiken um eine weitere Ebene, nämlich das Recht der persönlichen Entscheidung, ergänzt werden kann. Nur dann finden wir die Antworten auf das WARUM und darin weitere Ansätze für einen faktenbasierten und wirkungsvollen Jugendschutz.