„Ich bin nicht sicher, ob eine nikotinfreie Welt eine bessere Welt wäre.“
Weltweit gibt es nur wenige Institutionen, die sich intensiv der Aufgabe widmen, tabakbedingte Erkrankungen zu verringern. Dazu gehört das anerkannte Nikotin Institut in Wien, das Menschen hilft, mit dem Rauchen aufzuhören oder auf weniger schädliche Produkte umzusteigen. Wir sprachen mit dem wissenschaftlichen Leiter, Dr. med. Ernest Groman (51), über seine Erfahrungen aus der Praxis.
Herr Dr. Groman, seit 20 Jahren arbeiten sie mit Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen oder laut ihrem Arzt sollen. Was ist Ihre wichtige Erkenntnis?
Bereits als junger Arzt musste ich überrascht feststellen, dass Menschen sich nicht immer an unsere gut gemeinten Ratschläge für eine bessere Gesundheit halten. Heute weiß ich: Viele Raucher wollen gar nicht vom Nikotin weg und schaffen es dann auch nicht, komplett abstinent zu werden. Wer zu uns ins Nikotininstitut kommt, hat mindestens zwei bis drei Selbstversuche hinter sich.
Die Faustformel lautet: Ein Drittel der starken Raucher schafft den Absprung von der Zigarette, ein Drittel nicht und ein Drittel reduziert den Konsum oder steigt auf weniger schädliche Produkte um. Daher bin ich froh, dass heute Nikotin-Ersatzprodukte jenseits von Nikotinpflastern & Nikotin-Kaugummis zur Verfügung stehen.
Sie loben als Arzt Produkte wie die E-Zigarette, Tabakerhitzer oder Nikotin Pouches?
Wissen Sie, die häufigste Kritik von Rauchern an den medizinischen Produkten für einen Rauchausstieg ist, dass diese nicht schmecken und nicht wirken. Geschmacksstoffe sind ein wichtiger Faktor beim Umstieg. Dazu kommen andere Aspekte: Nikotinkaugummis sind immer noch wie Medikamente verpackt und wenn meine Patienten den ellenlangen Beipackzettel sehen, haben sie schon genug. Daher sind alle Produkte, die deutlich weniger gesundheitsschädlich sind und Menschen motivieren, von der Zigarette die Finger zu lassen, ein Segen. Dazu zählen standardisierte und registrierte Produkte, in denen Tabak nicht mehr verbrannt wird. Der Verbrennungsprozess ist das eigentliche Problem. Je höher der Teergehalt, desto höher das Krebsrisiko.
Die WHO ist da anderer Meinung und hat den neuen Nikotin-Produkten den Kampf angesagt. Raucher sollen ganz aufhören, Produkte wie die E-Zigaretten würden nur Jugendliche zum späteren Zigarettenkonsum verführen…
Ach, da muss ich an Altbundeskanzler Helmut Schmidt denken, der hätte jetzt vermutlich gesagt, dass das ziemlich „dusselige Argumente“ der WHO sind. Für die WHO ist eine reine Verbotspolitik der einfachste Weg. Dann muss dort niemand die Verantwortung übernehmen, wenn die Erfolgsquote in der Tabakentwöhnung nicht bei 100 Prozent liegt.
Studien aus den skandinavischen Ländern haben gezeigt, dass die Gateway-These, also dass Jugendliche über die neuen Produkte zur Zigarette kommen, nicht stimmt – eher das Gegenteil. Raucher kommen weg von der Zigarette. Politiker, die einer differenzierten Debatte aus dem Weg gehen wollen, kommen immer mit den Jugendlichen als Killer-Argument.
Welches Land in Europa macht aus Ihrer Sicht denn die beste Politik, wenn es darum geht, die gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Tabakkonsums zu reduzieren?
Das sind ganz klar die Schweden. Wir haben uns 2005 und 2006 in einer wissenschaftlichen Studie schwedische Männer, die Snus konsumierten, mit Zigarettenrauchern aus Österreich verglichen. Obwohl die aufgenommene Nikotin-Menge identisch war, sind in Schweden nur halb so viele Männer an Lungenkrebs erkrankt. Die Ergebnisse waren beeindruckend, trotzdem ist Snus bis heute in der EU verboten.
Wie schädlich ist denn überhaupt Nikotin?
Nikotin ist heute sicherlich die nach Koffein am meisten konsumierte psychoaktive Substanz. Es kann eine aufputschende und beruhigende Wirkung haben. Nikotin ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht krebserregend. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass ich mir nicht sicher bin, ob eine nikotinfreie Welt eine bessere Welt wäre. Alkohol ist aufgrund der sozialen Auswirkungen das problematischste legale Suchtmittel von allen – trotzdem kann das Feierabendbier am Ende einer anstrengenden Woche eine positive Wirkung haben.