Gänse-Döner to go. Wie entsteht Konsumverhalten?
Auf dem Weihnachtsmarkt gab es neulich „Gänsefleisch-Döner.“ Das hatte mit Döner nicht viel zu tun, war aber Convenience Food par excellence: Vor allem die praktische Teigtasche machte die weihnachtliche Gans zum transportablen Genuss. Früher saßen wir an Omas Küchentisch bei Rotkohl und Klößen – heute schlendern wir zwischen Lichterketten hindurch. Konsumverhalten reloaded.
Wir essen, wie wir kommunizieren: mobil und in kleinen Einheiten
Hier eine WhatsApp, hier ein Coffee to go. Ein Posting bei Facebook, ein Snack vom Food Truck. Was auf der einen Seite das Smartphone, ist auf der anderen Seite Smarteating.
Die Erhebungen von Consumers’ Choice bestätigen uns, was wir insgeheim schon längst wissen und leben: Die Zahl der klassischen Zuhause-kochen-und-essen-Verbraucher ist gesunken. Derzeit um 6 Prozent – man erwartet, dass dies noch zunimmt. Gründerwettbewerbe sind voller Start-ups, die sich mit spezialisiertem Street Food selbstständig machen, traditionelle Fastfood-Ketten verlieren mit ihren standardisierten Massenprodukten an Kundschaft. Und wer sich vor der eigenen Idee und dem Alleingang noch etwas fürchtet, dem helfen Franchise-Geber weiter. Vom Kaffee-Bike mit Standort auf dem Flohmarkt bis zum Wrap Truck vor den Firmenzentralen.
Marken wie Fritz Kola beispielsweise gingen zunächst aus solchen Ideen hervor. Cola ja – aber nicht immer von den beiden großen Weltkonzernen – so das einfache, aber erfolgreiche Prinzip. Da wurde, genau wie bei Bionade, der Segen schnell zum Fluch: Wenn das Wachstum kommt und eine gewisse Größe überschreitet, suchen auch diese Marken wieder Anschluss an konventionelle Vertriebswege und verlieren Verbraucher, die nach Independent-Labeln lechzen um sich von der Masse kulinarischer Industrieware abzuheben.
Ist ein Coffee to go wirklich der Hektik unseres Alltags geschuldet?
Weil zu Hause dafür keine Zeit mehr bleibt? Oder ist es nicht eher eine kleine Genuss-Insel auf dem Fußweg zur Arbeit oder ein kulinarischer Zeitvertreib im Stau?
Die Mobilität der Gesellschaft nimmt zu und dank entsprechender Vertriebs- und Marketingstrukturen ist Street Food meist erschwinglich. Eine sättigende Asia-Nudelbox mit Hühnerfleisch für 4 Euro mag dann kaum noch jemand zu Hause aus 8 bis 12 einzelnen Zutaten selbst kochen. Und bei Single-Haushalten bleiben zu viele Lebensmittel für die Restetonne übrig – oder man muss einige Tage hintereinander dasselbe essen oder einfrieren. Vor der Firma steht mittwochs der Asia-Truck und am Donnerstag der TexMex-Stand. Essen wir dann noch mobil, oder wird das Essen nicht von selbst mobil, wenn es zu uns kommt?
Und wer dennoch zu Hause kocht, kann das Street-Food-Konzept mit in die eigenen vier Wände nehmen: mit fertigen Kochboxen, die das Convenience Food nun wirklich komfortabel werden lassen und zur Not auch per Abo übers Internet bestellt werden. Vegetarisch, vegan, halal oder koscher – jede Nische wird von der Industrie bedient. Schaut man in zahlreichen Restaurants einmal in die Küche, sieht es dort auch nicht viel anders aus: Vorgegartes Fleisch vom Großhandel, geschälte Kartoffeln in vakuumverpackten Kunststoffbeuteln – auch hier ist Convenience auf dem Vormarsch. Wer sich nicht vor kulinarischen Desillusionen fürchtet, der sollte einmal in Köln die Anuga besuchen; die weltweit größte Fachmesse für Ernährung.
Pommes, Döner, Gyros, Burger und Currywurst – die traditionellen mobilen Gerichte in Deutschland – haben gewissermaßen den Boden bereitet für eine neue Generation mobiler Kost: Frisch vor unseren Augen zubereitet, abwechslungsreich und weltoffen. In Großstädten kommt man als mobiler Esser leicht über alle fünf Kontinente in einer Mittagspause. Und auch die Diskussion unter Kollegen, welche kulinarische Richtung man in der Mittagspause einschlagen möchte, ist schnell geschlichtet: Zwischen frischen Burgern und veganer Kost liegen oft nur wenige Meter.
Im Zweifel helfen Street-Food-Festivals bei der Orientierung weiter, wenn die mobilen Garküchen ihre Wagenburgen aufbauen und Konsumenten kulinarisch umherschlendern. Nicht zu verachten ist dabei auch das Preis-/Leistungsverhältnis. Da kostet der weihnachtliche Gänsefleisch-Döner zwar mit 7 Euro deutlich mehr als der klassische Döner vom Türken – aber zur 25-Euro-Restaurant-Alternative ist er eine echte Option.
Während auf der Straße die Vielfalt ein Segen ist, findet im Supermarktregal dagegen der klassische Verdrängungswettbewerb statt
Um die Gunst der Verbraucher ringen rund 170.000 unterschiedlichen Produkte – alleine bei der Ernährung. Was sich nicht durchsetzt, fliegt!
Mobiles Essen, stationäres Kochen zu Hause: Es bleibt dennoch stets die freie Wahl der Verbraucher, die auch gerne zwischen beiden Systemen switchen. Denn das gemeinsame Kocherlebnis mit Freunden, wo unterschiedliche „Teams“ für Vor-, Haupt- und Nachspeise zuständig sind, wird auch das Street Food nicht verdrängen können.
Wichtig ist, dass der Staat sich dabei raushält und nicht in die Töpfe spuckt
Verbraucher müssen selbst entscheiden können, wie und was sie wann essen möchten. Dabei gehören Informationen verantwortungsvoll vermittelt. Eine Dampfnudel auf dem Wochenmarkt darf nicht als toxisch gebrandmarkt werden, indem man ihr eine Fett- und Zuckersteuer aufbrummt. Sie hat ihre Berechtigung in einer abwechslungsreichen und freien Ernährung. Bluthochdruck und Diabetes, die beiden Volkskrankheiten einer Wohlstandsgesellschaft, müssen durch transparente Informationen und verantwortungsvolle Essgewohnheiten bekämpft werden. Nicht mit staatlicher Bevormundung. Fisch, so sagt man, macht schlau, weil er Omega-3-Fettsäuren enthält. Dann sollte der Staat uns nicht verdummen, indem er die Welt in drei Farben einteilt: Rot, Gelb, Grün.
Der deutsche Philosoph Ludwig Feuerbach (1804-1872), dessen beiläufig geschaffenes Wortspiel „Du bist, was du isst“, inzwischen religiöse Auswüchse angenommen hat, ist längst widerlegt: Du bist, WIE du isst: mobil.
Werden wir also im Kopf bitte nicht immobil.