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31.10.2016

Bild­wa­rn­hin­wei­se II: Unter­schied­li­che Sicht­wei­sen auf Wir­kung von Schockbildern

Symbolbild ,verschiedene Meinungen, verschiedene Wege, Pfeile in unterschiedliche Richtungen

Seit Mai 2016 sind die kombinierten Text-Bild-Warnhinweise (Schockbilder) EU-weit auf Tabakprodukten vorgeschrieben. Fakt ist: Über ihre Wirkung gibt es keine wirklich belastbaren Aussagen. Gegner der Bildwarnhinweise verweisen darauf, dass es keine wissenschaftlichen Belege für die tatsächliche Wirksamkeit gibt, und setzen sich deutlich für die in Deutschland bewährte Aufklärung und Information anstelle eines „Schockierens“ ein. Befürworter argumentieren, die Fotos riefen emotionale Reaktionen hervor, die tiefer im Unterbewusstsein ankern als reine Textwarnungen.

Matthias Abel, Geschäftsführer der Hamburger Strategie- und Innovationsberatung Haruki, erläutert: „Die kognitive Dissonanz beim Genuss von Tabak wie auch bei Zucker, Fett oder Alkohol wird dadurch nivelliert, dass zwar der positiv wirkende Genussmoment, nicht aber die langfristigen, negativen Auswirkungen erlebbar werden.“

Werbung mit der Angst

Abel: „Genau hier setzt die Wirkung der Schockbilder an. Sie holen sozusagen die ferne Zukunft in die unmittelbare Gegenwart – und zwar auf eine Art und Weise, die sich nicht an die Vernunft richtet, sondern emotional aktiviert. Und eines der stärksten irrationalen Empfindungsmuster, die wir kennen, ist die Angst. Die Schockbilder erzählen Geschichten der Angst – in zwei Erzählsträngen.

Der erste Erzählstrang der Angst ist jener, der mit dem Verlust der Selbstkontrolle und Fähigkeit zur Selbstbeschränkung zusammenhängt: der Verlust sozialer Attraktivität und der Verlust der Fähigkeit zum Selbsterhalt. Hier werden Bilder eingesetzt, die Ekel erregen: ein verlorenes Bein, ein faulender Mund, das Erblinden oder eben der Herzinfarkt, der Schlaganfall, der Krebs.

Der zweite Erzählstrang der Angst ist der, der dem Verlust der Verantwortung gegenüber abhängigen Dritten zugeordnet ist: der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit, die Gefährdung des eigenen Kindes, das Versagen als elterliches Vorbild und das Nichtausfüllen der Versorger- und Elternrolle.“

Ist also „Werbung mit der Angst“ die Ultima Ratio zum Jugendschutz? Dass es auch genau andersherum sein könnte, zeigt beispielsweise die Entwicklung der deutschen Kampagne zur AIDS-Prävention. Im Jahr 1987 ins Leben gerufen, setzte die Kampagne anfänglich auf reine Abschreckung. Im Verlauf der Jahre wurden die Inhalte immer mehr dahin verändert, dass ein emotionaler und persönlicher Blick auf das Thema entstand.

Wenige Studien, widersprüchliche Aussagen

Eine aktuelle und repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK Gesundheit bestätigt, dass die Bürger eher auf Jugendschutz durch Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit setzen als auf „Ekelfotos“: Für 81 Prozent der Befragten sind Schockbilder nicht das richtige Mittel, um Raucher zum Aufhören zu bewegen. Hingegen halten neun von zehn Befragten eine verstärkte Aufklärungsarbeit an Schulen für eine geeignete Maßnahme. Und 83 Prozent befürworten einen konsequenteren Schutz vor dem Passivrauchen, etwa durch ein Rauchverbot in Autos, in denen Kinder mitfahren. DAK-Suchtexperte Ralf Kremer: „Schockbilder auf Zigarettenpackungen sind nur ein Präventionsfaktor. Wir setzen auf Information und Aufklärung, die schon in den Schulen beginnt.“

Ganz anders eine amerikanische Forschergruppe um Abigail Evans, die in einem Langzeittest untersuchte, was die Schockbilder in den Köpfen von 244 amerikanischen Rauchern auslösten. Resümee der US-Psychologen: „Fotos rufen deutlich emotionalere, bleibende Reaktionen hervor.“ Hoch elaborierte Informationen auf der Schachtel hingegen, wie sie eine Kontrollgruppe erhalten hatte, schmälerten eher die Glaubwürdigkeit, als dass sie den Abschreckungsfaktor erhöhten.

Abschrecken oder Aufklären?

Innovationsberater Abel: „Für den Staat ist es durchaus legitim, individuelles Konsumverhalten aufgrund möglicher Langzeitschäden offensiv zu hinterfragen. Wenn sich der Konsument gegen die auf Schockbildern vorgetragenen Argumente und erlebbar gemachten Ängste und für das Rauchen einer Zigarette entscheidet, ist das ebenso legitim. Es ist durchaus wünschenswert, dass Raucher bewusste, mündige Konsumentscheidungen treffen.“

Die Gesundheitsrisiken des Tabakkonsums stehen außer Frage. Die beabsichtigte Schockwirkung durch bewusst Ekel und Abneigung erzeugende Bildwarnhinweise ist dabei nicht der richtige Ansatz für eine erfolgreiche Gesundheitsprävention. Im Fokus der Maßnahmen sollten vielmehr – neben einer sinnvollen Regulierung – eine breit angelegte Aufklärung und offene Information stehen. Denn dieser Weg ist in Deutschland bislang erfolgreich beschritten worden: Der Rückgang der jugendlichen Raucher ist, wie Zahlen belegen, basierend auf dem deutschen Modell deutlich erfolgreicher als in Ländern, in denen Tabakprodukte und -information bereits von der Bildfläche verschwunden sind.

Übrigens: Während bei den neuen, kombinierten Text-Bild-Warnhinweisen von Schockbildern gesprochen wird, fällt erst einmal kaum auf: Das neue Tabakerzeugnisgesetz verbietet die Angaben zu zentralen Produkteigenschaften zu Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt auf den Verpackungen. Dabei ist die verlässliche Kennzeichnung von Tabakprodukten und deren Eigenschaften eine relevante Informationsquelle für Konsumenten. Bei Nahrungsmitteln, Waschpulver und anderem wäre der Wegfall vergleichbarer Informationen undenkbar.