Das Ende der Öffentlichkeit – die geheime Zigarette
Noch existiert in Deutschland kein Rauchverbot im Auto. Doch durchläuft das Bild des Rauchens in unserer Gesellschaft einen tiefen Wandel. Dabei spielen auch soziale Medien eine wichtige Rolle.
Den Lieblingssong voll aufdrehen, raus aus dem Alltag, ausbrechen, unabhängig sein – für viele Menschen gilt das Auto als letzter privater Rückzugsraum, hier können sie noch freie Entscheidungen nach Lust und Laune treffen. Dazu gehört auch das Rauchen, denn (noch) ist das Rauchen im Auto in Deutschland erlaubt. Anekdoten über stundenlange Autofahrten in den Süden, bei denen Mama und Papa bei geschlossenem Fenster eine Zigarette nach der anderen angezündet haben, kann fast jeder erzählen. Heute kaum mehr vorstellbar – das Bild des Rauchens in der Öffentlichkeit ist einem gesellschaftlichen Wandel unterzogen. Das betrifft private Räume aber eben auch öffentliche Bereiche.
Rauchen in der Öffentlichkeit: dort, wo es gefiel
Ein Blick zurück zeigt, dass Rauchen in der Öffentlichkeit vor einigen Jahrzehnten noch ganz selbstverständlich war. Ob in Restaurants, in Büros oder auf U-Bahnhöfen – geraucht wurde, wo es gefiel. Ein Spiegel der Zeit vor der digitalen Revolution, vor der Schnelllebigkeit unseres heutigen Alltags? Was damals den Geruch von Freiheit verströmte, wirkt heute seltsam deplatziert. Und sorgt gleichzeitig für Aufsehen: Beim ZDF-Talk „Schulz & Böhmermann“ sind Trinken und Rauchen ausdrücklich erwünscht und zahlreiche Gäste kommen der Aufforderung nach – was bei der Erstausstrahlung in 2016 zu aufgebrachten Diskussionen führte. In den 80er-Jahren wäre das kein Thema gewesen: Ganz selbstverständlich zündeten sich Stars und Politiker im Fernsehen Pfeifen, Zigarren und Zigaretten an.
Mit Facebook, Instagram oder Snapchat haben wir es mit einer anders gelagerten Öffentlichkeit zu tun. Wer hier Fotos von sich beim Rauchen in der Öffentlichkeit zeigt, ist unmittelbar den Kommentaren der Nutzer ausgesetzt. Manche setzen dieses Kalkül bewusst für die persönliche Selbstdarstellung ein – und polarisieren damit.
„Wenn ich auf Instagram Bilder mit einem Glas Grauburgunder in der Hand poste, neiden mir Menschen ein pseudo-glamouröses Leben“, schreibt Autorin Ronja von Rönne auf www.welt.de „Wenn ich eine Zigarette im Mund habe, rieselt es traurige Kommentare“. Wer die Alltagspraxis des Rauchens in der Öffentlichkeit oder in den sozialen Netzwerken für sich wählt, muss sich heute über seine Außendarstellung in der Gesellschaft bewusst sein. Die Person, die sich Zeit ihres Lebens im Bezug auf Rauchen nicht um die Meinungen anderer geschert hat, war Helmut Schmidt: Bekanntermaßen hat er sich entgegen allen Konventionen wann immer er wollte eine Zigarette angezündet.
Wertewandel ist kein statischer Zustand
Heute sehen wir an Flughäfen spezielle Kabinen, in denen rauchende Menschen zusammenrücken, auf Bahnsteigen weisen farbige Markierungen Raucher in ihre Schranken. Wie konnte es zu diesem über Jahrzehnte hinweg stattfindenden Wandel der Akzeptanz des Rauchens in der Öffentlichkeit und in den Medien kommen? „Rauchen war und ist immer ein soziales Produkt und eine gesellschaftliche Herausforderung gleichermaßen“, weiß Kulturhistorikerin Melanie Aufenvenne, Autorin des Buches „Feuer gefällig?“ Rauchverbote bewirken ihrer Meinung nach kein Verschwinden dieser Alltagspraxis, sondern im Gegenteil, dem Rauchen werden klar zugeschriebene Orte vorgeben.
Gesellschaftlicher Wandel lässt sich nicht künstlich aufhalten. Die Menschen entwickeln ein immer stärkeres Bewusstsein für gesundheitliche Risiken. Gleichzeitig treten Gesetze in Kraft, welche Nichtraucher vor dem Passivrauchen schützen sollen. Eine friedliche Koexistenz von Rauchern und Nichtrauchern, bei der ein verantwortungsvolles Miteinander gegenseitigen Respekt bedingt, sollte das Ziel sein.
Nicht nur schwarz und weiß
Differenzen über die persönlich richtige Lebensform sind allgegenwärtig: Der Vegetarier diskreditiert den Fleischesser, der Radfahrer beschimpft den Autofahrer und der Nichtraucher verpönt den Rauch. Unterschiedliche Auffassungen fördern den gesellschaftlichen Diskurs und ein lebendiges Miteinander. Allerdings nur, solange die individuelle Meinung nicht in Stigmatisierung und Ausgrenzung bestimmter Konsumentengruppen mündet. Akzeptieren wir die freien Entscheidungen unserer Mitmenschen, ist das ein positives Signal in Richtung einer aufgeklärten, respektvollen Gesellschaft.