22 Nov 2024

Die Politik steuert in die falsche Richtung

Bei der Vor­stel­lung des neu­en Alter­na­ti­ven Dro­gen- und Sucht­be­richts war die­ses Jahr alles anders: Kei­ne Live-Pres­se­kon­fe­renz mit­ten in Ber­lin, kei­ne gedruck­te Aus­ga­be, kein Schwer­punkt auf Tabak. Statt­des­sen ein digi­ta­les Event, in dem es haupt­säch­lich um die The­men „Alko­hol“ und „Dro­gen“ ging. Immer­hin – die fast 200 Sei­ten star­ke ach­te Aus­ga­be des etwas ande­ren Sucht­be­richts ent­hält eine poin­tier­ten Ana­ly­se der kürz­lich ver­ab­schie­de­ten Reform der Tabaksteuer.

Suchtforscher Prof. Heino Stöver vom Insitut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences und Dr. Bernd Werse, Mitbegründer des Centre for Drug Research an der Frankfurter Goethe-Universität, gehen im 8. Alternativen Drogen- und Suchtbericht mit der Steuerreform hart ins Gericht: „Maßnahmen, wie etwa die jüngst beschlossene Tabaksteuer auf E-Zigaretten“, schreiben die beiden Wissenschaftler, „steuern in die falsche Richtung: Raucher*innen werden nicht motiviert, auf das weitaus weniger schädliche Dampfen umzusteigen, wenn diese Produkte ähnlich hoch besteuert werden wie die Verbrennungszigarette, die mit großem Abstand die gefährlichste Form der Nikotinaufnahme darstellt.“ Die deutsche Tabakkontrollpolitik sei „verheerend“, da man „nicht von einer konsistenten, Verhaltens- und Verhältnisprävention nutzenden Kontrollpolitik sprechen“ könne. Stöver kritisierte in diesem Zusammenhang die „Abstinenzorientierung der deutschen Politik“.

„Bundeshaushalt absichern“ 

Dabei hatten die beiden Experten die ursprünglich geplante Erhöhung der Tabaksteuer aus gesundheitspolitischer Sicht als begrüßenswert und überfällig bezeichnet. Doch die Ausweitung auf ein umfassenderes Nikotinsteuerkonzept, das insbesondere E-Zigaretten umfasse, sei wenig sinnvoll. Im Gegenteil: „Man kann nur vermuten, was das Finanzministerium mit der Einführung des neuen Steuergegenstands bzw. der Extra-Steuer bezweckt: die Sicherung der Einnahmen des Bundeshaushalts durch die Aufnahme von Zigarettensubstituten (darunter sogar nikotinfreie E-Liquids, d. Red.) in das Besteuerungsregime.“

Die wahrscheinlichen Folgen zeigt der Bericht ebenfalls auf: insbesondere Konsumenten von potenziell weniger schädlichen Nikotinprodukten dürften auf günstige, entweder illegal hergestellte oder nicht versteuerte Produkte ausweichen, für den Fachhandel zeichneten sich katastrophale Auswirkungen ab und die erhofften Mehreinnahmen für den Fiskus dürften – hier zitiert der Bericht betroffene Verbände – „illusorisch“ oder „absurde Luftschlösser“ sein. Die Autoren schließen mit der Forderung an die Bundesregierung, sie solle den Ansatz der Harm Reduction künftig stärker einbeziehen: „Berücksichtigen Sie das unterschiedliche Risikopotenzial bei der Besteuerung und der weiteren Regulierung alternativer Nikotinprodukte!“

„Realitätsferne Suchtpolitik“

Bereits im Februar hatte Suchtexperte Stöver den „Beating Cancer Plan“ der EU massiv kritisiert: „Seit Jahren wird mit den immer gleichen Mitteln versucht, die hochgesteckten Ziele von einem nahezu tabakfreien Kontinent zu erreichen.“ Steuererhöhungen, Werbeverbote und Rauchverbotszonen würden Abhängige aber weiterhin nicht vom Rauchen abhalten, ist Stöver sich sicher. Die EU-Kommission konzentriere sich beim Thema Tabakentwöhnung nicht auf mögliche Alternativen für Raucher, die kein Interesse an einem Rauchstopp haben, sondern auf den alten "Quit or die"-Ansatz, „anstatt eine realitätsnahe Suchtpolitik zu gestalten." Die Kommission gehe sogar so weit geht, sie als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung zu sehen. "Großbritannien, Neuseeland und Canada setzen die E-Zigarette als ein Hauptinstrument im Kampf gegen den Tabakkonsum ein und sind damit nachweislich sehr erfolgreich", benennt Prof. Stöver drei Beispiele, wie es anders funktionieren kann.

Das bestätigt auch Dr. Thomas Nahde, Head of Science Engagement DACH & Nordics Next Generation Products bei Reemtsma. Zu den Ergebnissen des 8. Alternativen Drogen- und Suchtberichts sagt er: „Die politischen Entscheider haben den Harm Reduction Gedanken bei diesen Gesetzesentscheidungen leider kaum ernsthaft berücksichtigt. Insofern muss es weiterhin das Ziel sein, über das Potenzial von Harm Reduction als ergänzende Tabak-Kontrollmaßnahme aufzuklären aber auch mögliche Bedenken und Vorbehalte sachlich zu diskutieren.“ Es sei kaum nachvollziehbar, warum sich die Politik einem wirksamen Instrument der Suchtbekämpfung so unnachgiebig entgegenstelle.