Die realen Kosten des Rauchens bewertet
Kostet der Tabakkonsum in Deutschland die Gesellschaft Milliarden? Belasten Raucher das Gesundheitssystem mit Zusatzkosten? Die Studien dazu schwanken stark in ihren Einschätzungen über die jährlichen Kosten für die Allgemeinheit. REE:THINK vergleicht die vielen, sehr unterschiedlichen Sichtweisen und wirbt an dieser Stelle für einen offenen, realistischen Blick auf das Thema. Neue Untersuchungen zeichnen jetzt ein neues und – aus unserer Sicht – realistisches Bild. Sie könnten in Zukunft Basis für Diskussionen rund um die „Costs of smoking“ werden.
Die Fakten vorweg: Nach Angaben des deutschen Ernährungsministeriums (BMEL) betragen die jährlichen Kosten, die durch Tabakkonsum für die deutschen Sozialkassen entstehen, rund 25 Milliarden Euro. Die gesamten indirekten Kosten des Rauchens werden sogar auf rund 79 Milliarden Euro* pro Jahr beziffert.
Stellt man dem die Einnahmen aus der Tabaksteuer von zuletzt jährlich knapp 15 Milliarden Euro entgegen, entsteht auf den ersten Blick durchaus der Eindruck, dass Raucher der Gesellschaft „auf der Tasche liegen“. Diese Rechnung basiert auf dem Bruttokostenkonzept. Dabei wird nicht unterschieden, welche Kosten von der Allgemeinheit und welche von den Rauchern ganz individuell getragen werden. REE:THINK lädt dazu ein, die Debatte auch aus anderen Perspektiven zu betrachten:
Kosten des Rauchens: Nettoeffekte statt Bruttorechnungen
Diese neuen Ansätze beleuchten erstmals die reinen Nettokosten des Rauchens. Also nur jene Kosten, die von der Allgemeinheit zu tragen sind. In Deutschland gibt es eine erste Analyse dieser Art von Professor Berthold Wigger und Florian Steidl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Beide verglichen für ihre Untersuchung in Modellrechnungen eine theoretische, nicht rauchende mit der realen Gesellschaft des Jahres 2011 über einen Lebenszyklus von 89 Jahren.** Dabei errechneten sie, was sich an Mehrkosten und Ersparnissen für die Gesellschaft ergibt. Fazit: Die reale Gesellschaft in Deutschland ist um 36,4 Milliarden Euro günstiger als die fiktive Gesellschaft ohne Raucher.
Eine Nichtrauchergesellschaft spart kein Geld
Wigger und Steidl kommen demnach zu dem Ergebnis, dass Rauchen die Sozialversicherten und Steuerzahler sogar entlastet. Hauptgründe sind zum einen gesundheitliche Risikofaktoren: Raucher sterben im Schnitt circa fünf Jahre früher als Nichtraucher und beziehen entsprechend keine Altersrenten und Ruhegehälter mehr. Dieser Effekt wirkt sich finanziell weitaus stärker aus als die Mehrkosten durch zusätzliche medizinische Behandlung oder frühzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf.
Sicher, auf den ersten Blick erscheint diese Betrachtung makaber. Dennoch: Erwachsene Raucher sollen ihre Entscheidung für den Tabakgenuss immer aufgeklärt und unter Abwägung der Risiken treffen. Daher darf auch diese Sichtweise hier nicht fehlen! Nicht minder entscheidend für eine Neubewertung der Kosten durch Rauchen: Nach dem neuen Modell zahlen Raucher in ihrer Lebenszeit 376 Milliarden Euro Tabaksteuern. Steuern, die ganz ohne Tabakprodukte gar nicht erst eingenommen würden.
Unser REE:THINK
Wenn finanzielle Aspekte wirklich das Zentrum der Debatte sein sollen, spricht vieles für eine Differenzierung von individuellen Kosten und Allgemeinkosten beim Tabakkonsum. Würde es sogar zu einer ernsthaften Diskussion über die Einrichtung einer Tabakmaut kommen, wäre die Maut für Motorradfahrer und Extremsportler nur konsequent. Eine Debatte, die sich endlos weiterdenken ließe und unsere Gesellschaft immer weiter von einer Lifestyle-Freiheit entfernen würde. Nach dem Motto, wer höhere Wagnisse eingeht, soll vorab dafür bezahlen. Die individuelle Definition persönlicher Freiheit sollte nicht mit Kosten bestraft werden.
Was meinen Sie? Schreiben Sie uns an magazin@reemtsma.de.
*Basierend auf einer Studie der Universität Hamburg im Auftrag des DKFZ.
**Berthold Wigger und Florian Steidl: Die externen Kosten des Rauchens (2015).