Epidemiologie der E‑Zigarette: Populäre Studien oft fehlerhaft
Durch die zunehmende Verbreitung der E‑Zigarette werden wissenschaftliche Daten immer wichtiger. Nur so können Konsumverläufe angemessen bewertet werden. Gesundheitsfachleute, Regulierer, aber auch Patient:innen nutzen diese Daten, um Entscheidungen für sich oder für andere zu treffen. Deshalb müssen und sollten sowohl die Daten selbst als auch deren Herleitung wissenschaftlich korrekt sein. So weit, so einleuchtend. Nun zeigt eine umfassende Vergleichsstudie jedoch, dass viele der populärsten Studien zur E‑Zigarettennutzung, die einen kritischen Blick auf den Konsum werfen, oft von ähnlichen methodischen Fehlern geprägt sind.
Umfassendste Analyse ihrer Art
Am 24. März 2022 veröffentlichte ein Team von Wissenschaftler:innen um den italienischen Professor Riccardo Polosa von der Universität Catania eine Studie mit dem Titel „Analysis of common methodological flaws in the highest cited e-cigarette epidemiology research”*. Polosa ist Professor für Innere Medizin, renommierter Spezialist für Atemwegserkrankungen und klinische Immunologie an der Universität von Catania und Gründer des Zentrums für Tabakforschung. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Themenkomplex „Tobacco Harm Reduction“, also der Minderung negativer gesundheitlicher Auswirkungen des Konsums herkömmlicher Tabakprodukte, etwa durch potenziell weniger schädliche Alternativen wie die E-Zigarette.
Polosa selbst beschreibt die vorliegende Studie auf Twitter als „[...] umfassendste jemals veröffentlichte Analyse der häufigsten methodischen Fehler in der E-Zigarettenforschung“. Das Team von Wissenschaftler:innen analysiert darin die häufigsten methodischen Fehler in den 24 meistzitierten Forschungsarbeiten zur Epidemiologie der E-Zigarette. Dabei stehen die konkreten Fragestellungen, die Methodik, die Umsetzung, die Diskussion und das daraus gezogene Fazit im besonderen Fokus der Untersuchung. Denn nur eine zusammenhängende und einheitliche Betrachtung könne laut Polosa hier ein unverzerrtes Bild zeichnen.
Erstaunliche Ergebnisse
Die Vergleichsuntersuchung zeigt auf, dass viele der darin berücksichtigten Studien zur E-Zigarette und zu ihrem Konsum unzureichende oder gar keine Arbeitshypothesen beinhalten würden. Dabei ist zu unterstreichen, dass es Studien, die eine solche Arbeitshypothese vermissen lassen, oft an den korrekten Forschungsmethoden fehlt, um zum einen die eigentliche Forschungsfrage und zum anderen die daran anknüpfende Hypothese zu beantworten. Zudem kritisieren die Autor:innen, dass in einigen der untersuchten Studien Daten erhoben und genutzt worden seien, die zum Teil für die Forschungsmethodik irrelevant seien.
Generell würden auch viele Datenanalysen unvollständig durchgeführt, da zum Beispiel Störfaktoren außer Acht gelassen werden. Dies untergräbt letztendlich den Anspruch, eventuelle kausale Zusammenhänge transparent und vor allem vollständig abbilden zu wollen und zu können. Viele der in den untersuchten und oft zitierten Studien präsentierten Diskussionsergebnisse seien nach Einschätzung der Expert:innen in der Folge irreführend, da sie eben oft nicht darlegen würden, welche kausalen Zusammenhänge wie überhaupt existieren sollten. Dennoch werden sie oft einfach postuliert.
Beispiel: E-Zigarette und Rauchstopp
Professor Polosa und seine Co-Autor:innen weisen in ihrer Untersuchung darauf hin, dass viele Studien zum Beispiel zum Thema Rauchstopp bzw. zur Reduzierung des Konsums herkömmlicher Tabakprodukte in weiten Teilen außer Acht ließen, dass die Nutzung von E-Zigaretten (Vaping) als Ausstiegsstrategie die Anzahl an Versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören, steigern könne – und damit auch die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg. Ebenso würden in diesen Studien Teilnehmer:innen, die durch das Vaping bereits erfolgreich mit dem Rauchen aufgehört haben, ausgeschlossen, sodass die schlussendlich interessante Zahl an Personen, die mit dieser Methodik tatsächlich erfolgreich gewesen sind, gesunken sei.
Hinzukommt, dass Studien, die die gesundheitlichen Folgen des E-Zigarettenkonsums bei ehemaligen Rauchern untersuchten, oftmals etwaige Vorerkrankungen nicht genug berücksichtigten. Dadurch würde den Folgen des Vapings eine zu große und damit verzerrende Rolle zugeschrieben, zumal nicht klar von gesundheitlichen Folgen des Rauchens unterschieden werden kann.
Konventionelle Forschungsmethoden vs. Moderner Verbraucherschutz
Professor Polosa und seine Mitautor:innen kommen zu dem Schluss, dass sich insbesondere Studien zur sogenannten „Gateway-Theorie“ – also dem Einstieg in den Tabakzigarettenkonsum über die Nutzung der E-Zigarette – als unzuverlässig darstellen. Ihre Daten würden die ausgewiesenen Ergebnisse oft nicht stützen. Aus Sicht der Expert:innen spricht dies vor allem dafür, dass die Nutzung konventioneller epidemiologischer Methoden zur Erforschung kausaler Zusammenhänge in Bezug auf den Konsum etwa von E-Zigaretten nicht geeignet seien.