Minitopia der Selbstversorger: Gelebte Nachhaltigkeit mitten in Hamburg
Minitopia heißt Hamburgs erster „Spielplatz urbaner Selbstversorgung“. Der nachhaltige Umgang mit Ressourcen steht im Mittelpunkt. Hierfür gehen die Initiatoren ihren ganz eigenen Weg.
Von IKEA mag man halten, was man will – in Sachen Innovation und neuer Wohnansätze machen uns die Living-Experten aus Schweden nichts vor. Space10, Ikeas „innovation hub“ in Kopenhagen, hat sich mit Fragen nach einem nachhaltigen Lebensstil in Großstädten auseinandergesetzt und Anfang des Jahres den „Growroom“ vorgestellt. Wie können wir den stetig steigenden Bedarf an Lebensmitteln decken? Gibt es Alternativen zur globalen Nahrungsmittelversorgung? Die Bau- bzw. Schnittpläne für den „Growroom“ sind öffentlich zugänglich und frei verfügbar. Das soll die Menschen ermutigen, ihren eigenen Selbstversorger-Garten nachzubauen, um sich neue Möglichkeiten zu eröffnen.
Erfreulich, dass es auch in Deutschland Initiativen gibt, die auf lokaler Ebene handeln, um – zumindest im Kleinen – den globalen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen. Und das mit einem ganz positiven Ansatz. „Wir wälzen hier keine Probleme, wir arbeiten aktiv an nachhaltigen Lösungen“, beschreibt Stefanie Engelbrecht das Engagement, das hinter dem Projekt Minitopia steht: eine Plattform für Selbstversorger mitten im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg. Gemeinsam mit Katrin Schäfer leitet Stefanie seit Anfang 2017 das Projekt. Ihr Ziel: gemeinsam mit Expert*innen, Pionier*innen und Querdenker*innen ausprobieren, „ob und wie wir uns mit den Ressourcen vor Ort, unseren eigenen Händen und gegenseitiger Unterstützung auch in der Stadt selbst versorgen können – unabhängig von Kontostand und globalen Verstrickungen.“ Das Projekt ist im stetigen Fluss, bisher haben sich auf dem 1000 Quadratmeter großen Gelände drei Bausteine erfolgreich etabliert:
- Selbstversorger-Beete
Mit der Entwicklung von mobilen, langfristig weitgehend autarken Selbstversorger-Gärten nach den Prinzipien der Permakultur finden die Stadtgärtner heraus, wie auf kleinstem Raum, ohne künstliche Hilfsmittel und mit minimalem Energieaufwand maximale Erträge an Gemüse, Obst, Kräutern etc. für den Eigenbedarf zu erzielen sind.
- Do-it-yourself-Werkstatt
Alltagsgegenstände wie Möbel, Instrumente oder Spielzeug müssen nicht immer neu gekauft werden. Die Werkstatt bietet viele Möglichkeiten, Dinge mit einfachen Mitteln selbst herzustellen, kreativ zu recyceln und einfache Reparaturen selbst durchführen, anstatt Kaputtes sofort wegzuwerfen.
- Projektküche
Hier wird Wissen zu natürlicher Ernährung geteilt: Bei gemeinsamen Koch-Aktivitäten arbeiten die Selbstversorger mit traditionellen Methoden zur Verarbeitung von Lebensmitteln. Unverständliche Etiketten, chemische Zusätze und erschöpfte Ressourcen gibt es hier nicht. Stattdessen lernen die Köche, welche Nähr- und Schadstoffe in Lebensmitteln stecken, wo und wie Lebensmittel produziert werden und nutzen idealerweise Erzeugnisse aus den eigenen Minitopia-Beeten.
Selbstversorgung im Kleinen
„Es liegen so viele Ressourcen herum, die wir nutzen können, um Neues daraus zu schaffen“, sagt Stefanie, die eigentlich alle Stevie nennen. „Wir müssen nicht ständig Dinge kaufen, vieles lässt sich aus Altem selber herstellen. Und das wollen wir den Menschen, die zu Minitopia kommen, vermitteln. Selbstversorgung ist bis zu einem bestimmten Grad möglich, auch in einer Großstadt. Wir möchten dabei helfen, sich von gesellschaftlichen Ängsten freizumachen. Zeigen, dass wir unabhängig von Konsumvorstellungen leben können.“
Große Themen werden hier im Kleinen praktisch angepackt – Minitopia bietet Menschen Raum und Zeit, zusammenzukommen und sich auszutauschen. „Jeder kann hier sein, wie er möchte und sich mit seinem Wissen einbringen. Und das ganz ohne den ‚moralischen Zeigefinger’“, wie Stevie sagt. Für die Mitbegründerin von Minitopia steht fest: Viele Menschen suchen Alternativen, um ihre alltäglichen Bedürfnisse in der Gemeinschaft zu stillen, ohne dabei von anderen bewertet zu werden.
Bei Minitopia steht laut Stefanie Engelbrecht der Wissenstransfer klar im Fokus: „Wir sehen uns als Bildungsstätte, nicht als ‚Hippiestätte’. Wir wollen und können den Menschen hier keinen Lebensraum bieten. Aber ihnen helfen, unabhängiger und freier zu werden, das können wir hier tun. Wir möchten allen Interessierten die Befähigung mitgeben, sich mit handwerklichen Dingen auseinanderzusetzen und ein Verantwortungsbewusstsein für Konsum zu entwickeln.“ Jeder sei herzlich eingeladen, vorbeizukommen und sich den „Spielplatz urbaner Selbstversorgung“ mit eigenen Augen anzusehen.
Reemtsma unterstützt Minitopia
Freiheit, Selbstbestimmtheit, Unabhängigkeit – alles Minitopia-Werte, mit denen auch die Reemtsma Philosophie konform geht. In diesem Jahr war Minitopia eines der Reemtsma Help Day 2017 Projekte. Reemtsma Mitarbeiter Levent Baysoy interessierte sich seit der ersten Stunde für das Selbstversorger-Projekt. „Ich helfe den Initiatorinnen vor allem beim Aufbau einer transparenten betriebswirtschaftlichen Struktur und freue mich sehr, mein Wissen in diesem Bereich in das Projekt einfließen lassen zu können“, sagt Baysoy.
35 Reemtsma Mitarbeiter packten am 18. August 2017 ordentlich mit an auf dem Gelände in Wilhelmsburg. Es wurde geschreinert, gepflanzt und gewerkelt – besonders die großen, schweren Maschinen hatten es den Kollegen aus dem Hamburger Headquarter angetan – am Ende entstanden Grills aus Propangasflaschen. Ein gelungener Kontrast zum Büroalltag. „Wer bei Minitopia mit anpackt, nimmt durch das soziale Engagement und die erlernten Dinge vor Ort immer auch etwas mit ins Privat- und Berufsleben. Von den Erkenntnissen profitiert dann im Umkehrschluss auch wieder der Arbeitgeber“, lobt Baysoy die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Minitopia und Reemtsma.
Reemtsma steht hinter dem Ansatz, dass es gerade die Vielfalt an Menschen und Meinungen ist, die unsere Gesellschaft so lebenswert macht. Die freie Selbstbestimmung des Einzelnen ist deshalb ein hohes gesellschaftliches Gut. Bei Minitopia findet die Umsetzung dieser Philosophie täglich im Kleinen statt. Es bleibt spannend, wohin die Reise gehen wird.