Menü Schließen
25.11.2020

Niko­tin-Pou­ch­es sind kei­ne Lebensmittel

Doch was der gesunde Menschenverstand einem sagt, ist – natürlich – auch gesetzlich geregelt. Es gilt der Grundsatz: Was verzehrt wird, um über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen zu werden, ist ein Lebensmittel. Lipgloss dagegen fällt unter die kosmetischen Mittel – obwohl „geringe Mengen der aufgetragenen Stoffe über Lippe, Zunge und Speichel geschluckt und damit über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden“. So beschreibt es der Hamburger Rechtsanwalt Tobias Teufer in einem Beitrag für das Magazin „Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht“ (ZLR 5/2020).

Was zunächst humorig klingen mag, hat einen aktuellen Hintergrund: Teufer hatte sich der Frage angenommen, ob die noch junge Produktkategorie „tabakfreie Nikotinbeutel“ als Lebensmittel behandelt werden müsse – was für Konsumenten und Handel ungeahnte Unsicherheiten bringen würde.

Pharmazeutische Qualität

Kein Wunder also, dass die Hersteller auf Nummer sicher gehen wollen. In seiner Untersuchung stellt der Jurist fest, dass in Nikotinbeuteln Inhaltsstoffe von hoher Reinheit verwendet würden, das enthaltene Nikotin pharmazeutische Qualität besitze. Dabei, so heißt es in dem Text, werden die Beutel nicht gekaut, sondern zwischen Oberlippe und Zahnfleisch platziert, um dort durch den Kontakt mit Speichel Nikotin und weitere Inhaltsstoffe, etwa Aromen, freizusetzen. Diese Inhaltsstoffe werden nicht geschluckt, sondern gelangen durch die Mundschleimhaut in den Körper. Ein Verzehr – wie bei Lebensmitteln – findet nicht statt, selbst falls kleine Mengen der gelösten Stoffe unbeabsichtigt mit dem Speichel verschluckt werden.

Das einschlägige „Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch“ (LFGB) führt dazu aus, nicht erfasst seien vom Begriff des Verzehrens Stoffe, die in den Körper eingerieben oder eingespritzt oder die eingeatmet würden, ohne dem Magen zugeführt zu werden. Auch die EU-Kommission geht davon aus, dass eine „Aufnahme“ von Produkten stets über den Magen-Darm-Trakt erfolgt.

Vergleich mit Kaugummi passt nicht

Und wie sieht es dann mit Kaugummi aus? Auf den ersten Blick sind diese Produkte eng mit Nikotinbeuteln verwandt. Tatsächlich aber eben nur auf den ersten Blick. Denn Kaugummis müssen gekaut werden, damit sich die Inhaltsstoffe lösen und mit dem Speichel in den Magen-Darm-Trakt gelangen. Das gerade ist bei Nikotin-Pouches nicht nötig – das Nikotin wird direkt durch die Mundschleimhaut aufgenommen.

Das Fazit des Experten: Tabakfreie Nikotinbeutel sind keine Lebensmittel. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass geringe Mengen an Nikotin über unbeabsichtigt verschluckten Speichel in den Magen gelangten. Konsequenz: „Die Regelungen des nationalen und des europäischen Lebensmittelrechts sind nicht auf tabakfreie Nikotinbeutel anwendbar.“ Der Blick in andere Länder zeigt, dass sich diese Erkenntnis dort bereits durchgesetzt hat. So gelten die Nikotinbeutel in Estland als „Produkte im Zusammenhang mit Tabakwaren“ und in Ungarn – besonders sinnvoll – als „nicotine-containing substitute for smoking“.

Keine Arzneimittel

Der Jurist Tobias Teufer weist außerdem nach, dass die Nikotinbeutel auch nicht zu Arzneimitteln, Bedarfsgegenständen, Tabak- sowie dessen verwandten Erzeugnissen gezählt werden können. Was bleibt, ist die Einstufung als Verbraucherprodukt. Das ist insofern wichtig, als die Erzeugnisse damit den Vorschriften etwa zum Gesundheitsschutz der Konsumenten unterliegen. Der zuständige Bundesverband für Tabakwirtschaft und neuartige Erzeugnisse (BVTE) hat darüber hinaus umfassende Produkt- und Werbestandards für die Hersteller erarbeitet.

Dr. Thomas Nahde, Leiter des Bereiches Scientific Affairs & Scientific Engagement bei Reemtsma, sieht vor allem in einer Aufnahme ins Tabakerzeugnisgesetz oder in eine eigenständige Regelung Chancen für die Pouches: „Die tabakfreien Nikotinbeutel erweitern das Spektrum potenziell deutlich weniger schädlicher Alternativen für erwachsene Raucher sinnvoll.“ Wer nicht rauche, zeige grundsätzlich kein Interesse an den Produkten. Hinzu kommt, dass „diese noch junge und kleine Produktkategorie ein vergleichsweise großes Potenzial zur Reduktion gesundheitlicher Risiken für Raucher und Umstehende hat, weil eben Tabak überhaupt nicht mehr enthalten ist und durch den fehlenden Rauch keinerlei Belastung für unbeteiligte Umstehende mehr entsteht.“