Track and Trace für Tabak: Gut gemeint – am Ziel vorbei
Am 6.5. sind die Durchführungsrechtsakte mit technischen Details zur Einführung eines europaweiten Tabakkontrollsystems, im Fachjargon Track and Trace oder auch Tracking and Tracing genannt, in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist es, den Tabakschmuggel zu bekämpfen. Dafür soll ab Mai 2019 der Weg jeder einzelnen Zigarettenschachtel innerhalb der EU lückenlos nachvollziehbar sein. Doch die Masse an zusätzlicher Bürokratie und technischen Anforderungen für europäische Hersteller und Händler könnte den Schmuggel aus Nicht-EU-Ländern eher befördern. Hinzu kommen plötzliche Exportverbote, die Arbeitsplätze gefährden.
440 Millionen Euro – diesen gigantischen Umsatz büßte die Tabakindustrie im Jahr 2016 durch den Schmuggel von Zigaretten ein. Schmuggel und Produktpiraterie sind gefährlich: Es bestehen höhere Produktrisiken, zum Beispiel durch die Verunreinigung von Tabakwaren. Allein Deutschland geht durch die illegalen Zigaretten jährlich rund eine Milliarde Euro an Steuergeldern verloren. Zudem verursacht der Schmuggel auch noch Reputations- und Markenschaden, der den Tabakherstellern durch Plagiate entsteht. Neben wirtschaftlichen Interessen geht es im Kampf gegen den illegalen Handel auch um Markenschutz. Kein Wunder also, dass Hersteller wie Reemtsma bei der Bekämpfung des Schmuggels an der Seite des Gesetzgebers stehen. Hier kommt Track and Trace ins Spiel.
Gutes Verkomplizieren: Track and Trace soll’s richten
Auf breite Zustimmung stießen daher 2014 die Pläne der EU-Kommission zur Eindämmung des Tabakschmuggels, festgeschrieben in der Richtlinie der Kommission zur Regulierung von Tabakerzeugnissen (EUTPD). Die Lösung soll nun Track and Trace bringen, ein System zur Überwachung aller Produktionsstätten und Handelsstufen – von der Zigarettenmaschine bis zum Kiosk.
Ist das neu? Tabakprodukte sind doch heute bereits „track-bar“?
Die Idee, Schmuggel durch Tracking zu bekämpfen, ist nicht neu und bereits heute gelebte Realität. Das ernsthafte Bekenntnis zu effektiver Bekämpfung des Schmuggels zeigt sich in der kontinuierlichen und engen Zusammenarbeit mit dem Zoll-Kriminalamt. Zusätzlich gelten Anti-Schmuggel-Verträge mit der EU. Die Unterzeichnung des OLAF-Agreements im Jahr 2010 verdeutlicht, dass dieses Interesse seitens Reemtsma schon bestand, als die Idee des neuen EU-Track and Trace-Programms noch nicht geboren war.
Wer stellt die illegale Ware her?
Fast immer ist die Antwort: nicht die Tabakindustrie. Die Tabakindustrie ist laut Europäischem Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) lediglich bei 2,5 % der beschlagnahmten Zigaretten auch deren Produzent. Bei der Bekämpfung der verbleibenden 97,5 % greifen die innereuropäischen Systeme schlichtweg nicht.
Was sind die nächsten Schritte bei Track and Trace?
Am 06. Mai 2018 traten die Durchführungsrechtsakte in Kraft. Jeder Mitgliedsstaat muss nun nationale Regelungen schaffen, die einen dritten Anbieter befähigen, Codes zu generieren, die sie für jede einzelne Zigarettenpackung vergeben. „Der Ball liegt“ bei Track and Trace daher zunächst bei der Bundesregierung, die einen Referentenentwurf erstellt hat, der am 4. Juli 2018 im Kabinett beschlossen wurde. Geplant ist, dass der Gesetzesentwurf noch Ende dieses Jahres vom Parlament verabschiedet wird. Den Herstellern sind im Moment die Hände gebunden und die Zeit drängt, da ohne einen sogenannten UID-Issuer keine Testphase anlaufen kann, jedoch das System am 20. Mai 2019 umgesetzt werden muss. Gleichzeitig müssen die Maschinen umgerüstet werden, was zeitaufwendig ist und nicht viele Anbieter am Markt vorhanden sind. Für die Hersteller bedeutet das: Millionenkosten für eine Umstellung und Umrüstung in einem kaum realisierbaren Zeitfenster.
Wann sind die neuen Vorschriften dann verbindlich?
Stichtag für das Inkrafttreten aller Vorschriften ist der 19. Mai 2019.
Welche Kritikpunkte gibt es vonseiten des Handels und der Hersteller?
Die finalen Details der EU zu Track and Trace sind so kompliziert und umfangreich, dass in Deutschland Stimmen laut werden, die zum einen das Umsetzungsdatum gefährdet sehen, aber auch – worst case – mit einer Zunahme der Schmuggel-Aktivitäten aus dem außereuropäischen Ausland rechnen.
Die vier wichtigsten Gründe:
1. Schmuggel ist ein außereuropäisches Brandthema – dort ansetzen!
Ein deutlicher Großteil der illegalen Zigaretten wird in der Ukraine oder Weißrussland, also dem außereuropäischen Ausland, produziert und über die Grenze in die EU geschmuggelt. Diese Zigaretten werden durch das europäische Track and Trace-System erst gar nicht erfasst.
2. Im deutschen Groß- und Einzelhandel wird nicht geschmuggelt – er wird aber künftig so behandelt
Der immense Aufwand des Track and Trace Systems verhindert eine lückenlose und termingerechte Implementierung und Verwirklichung von Track and Trace. Bevor die Zigarettenschachtel produziert werden darf, muss der Hersteller bei dem Dienstleister, der die Codes ausgibt, einen Code für die einzelne Zigarettenschachtel beantragen. Der Hersteller muss also weit vor der eigentlichen Produktion angeben, auf welcher Maschine die Zigarette produziert wird. Für diesen Prozess der Verfolgung und Rückverfolgung der Produkte müssen sowohl die Hersteller, Importeure und Verkäufer, als auch die Fabriken und die Maschinen einen eigenen ID Code beantragen. Das ist in etwa so, als wenn der Bäcker morgens wissen sollte, welchem Kunden er heute welches Brötchen oder Stück Kuchen verkaufen wird und die Filialen und Öfen mit eigenen Codes versehen werden müssen. Glaskugel Handel!
Bei Konsumgütern wie Kaugummis, Zahnbürsten oder eben Zigaretten, den sogenannten „Fast Moving Consumer Goods“, ist es nahezu unmöglich, im Vorfeld die Verkaufsroute zu bestimmen. Apropos Konsumgüter: Die bereits heute existierende Rückverfolgbarkeit von Zigaretten ist umfangreicher als die von Eiern.
3. Code-Chaos II: Exportgefährdung und Arbeitsplatzrisiken
Bei Track and Trace sollen auch für den Export bestimmte Zigaretten mit einem Code versehen werden. Gleichzeitig sehen die Gesetze von Exportländern wie Australien vor, dass neben dem landesüblichen Steuerstempel keine weiteren Codes oder Markierungen an der Zigarettenschachtel angebracht werden dürfen. Es herrscht „Code-Chaos“ bei den Herstellern, die sich an Recht und Gesetz in allen Ländern halten wollen. Darüber hinaus herrscht Chaos beim Thema „Sicherheitsmerkmal“. Jeder Mitgliedsstaat der EU soll selbst entscheiden, wie die Sicherheitsmerkmale ausgestaltet werden sollen – ob die Steuerbanderole Teil des Merkmals ist oder nicht. Denkbar wären somit 28 unterschiedliche Lösungen, die es für den einzelnen Verbraucher nahezu unmöglich machen, geschmuggelte Zigaretten selbst zu erkennen.
Denkt man das zu Ende, wären Produktionsaufträge für den Export plötzlich illegal. Weniger Aufträge, weniger Arbeitsplätze. Das Reemtsma-Werk in Langenhagen treffen diese Entscheidungen eiskalt – von dort aus wird in über 60 Länder der Welt sowie 20 Duty-Free Märkte exportiert. Künftig kann beispielsweise nicht mehr für Australien und Neuseeland produziert werden, da bei Produktionen innerhalb der EU künftig der Code per Gesetz verpflichtend auf die Verpackung muss. Der Gesetzgeber in Australien und Neuseeland diese Codes aber auf den dort in den Handel gehenden Verpackungen verbietet. De-facto werden hier Exportverbote geschaffen.
4. Steigende Preise machen Schmuggelware attraktiver
Die hohen kontinuierlichen Kosten des Track and Trace Systems werden am Ende die Verbraucher tragen müssen und Schmuggelzigaretten werden preislich noch attraktiver. Die Preis-Schere zwischen legal produziertem und gehandeltem Tabakprodukt und Schmuggelware geht weiter auseinander. Ein Teufelskreis.
Fazit:
Der gigantische Prozessaufwand sowie unklare und impraktikable Vorschriften machen eine lückenlose Kontrolle der Tabakware praktisch unmöglich. Die hohen Kosten für die Umsetzung des neuen Systems setzen zudem weitere Anreize für die Verbraucher, sich illegal Tabakprodukte aus Nicht-EU-Staaten zu beschaffen.
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Update: Der Text vom 23.11.17 wurde am 30.11.2017 sowie nach Inkrafttreten der Durchführungrechtsakte am 28.05 2018 aktualisiert.