Trotz Corona: Bundesregierung hält an neuen Belastungen für Tabakbranche fest
Vor dem Hintergrund der Corona-Krise gaben die Regierungen in Bund und Ländern große Versprechen ab. „Die Corona-Krise darf keine Existenzkrise für Unternehmen werden. Das Virus darf nicht auch noch den Arbeitsmarkt infizieren“, betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Mitte März in einem Interview mit T‑Online. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von „umfassenden” Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verkündete, dass „kein Arbeitsplatz“ verloren gehen dürfe.
Doch für die E-Zigaretten und Tabakbranche gilt das offenkundig nicht. „Im Affenzahn“, hieß es aus Regierungskreisen mitten in der Corona-Krise in Deutschland, wollen die Koalitionsfraktionen in Berlin – CDU/CSU und SPD – ein umfassendes Werbeverbot für die E-Zigaretten- und Tabakbranche beschließen. Damit stehen nicht nur weitere Arbeitsplätze in Deutschland auf dem Spiel, auch die Bemühungen der Branche, die Konsumenten zum Umstieg von klassischen Tabakprodukten auf deutlich risikoreduzierte Produkte zu bewegen, dürften weitgehend zum Stillstand kommen. Gleichzeitig kämpft die Branche unter der Corona-Krise mit wachsenden Unsicherheiten.
Davon unbeeindruckt legte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine so genannte „Formulierungshilfe“ für eine Novelle des Tabakerzeugnisgesetzes vor. Betroffen sind davon nicht nur in Deutschland produzierende Tabakunternehmen wie Reemtsma, sondern auch viele kleine Fachhändler, deren Existenz durch die weitreichenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise sowieso bereits massiv gefährdet ist.
Der Kern des neuen Gesetzentwurfes liegt in der Einführung eines umfassenden Werbeverbotes für Zigaretten ab Januar 2021, aber auch für E-Zigaretten (ab 2024) und andere neuartige Produkte wie Tabakerhitzer (ab 2023). Zudem sollen nikotinfreie Liquids genauso reguliert werden wie nikotinhaltige. Wörtlich heißt es: „Durch das Änderungsgesetz werden nikotinfreie elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter den nikotinhaltigen gleichgestellt, soweit dies zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsschäden erforderlich ist, insbesondere hinsichtlich der Regelungen zu Zusatzstoffen und den Regeln zur Werbung einschließlich der audiovisuellen kommerziellen Kommunikation.“
Gesetz hemmt Innovationen
Kritiker sehen vor allem das Werbeverbot für die neuen, deutlich weniger gesundheitsschädlichen Produkte als kontraproduktiv an und verweisen auf eine Stellungnahme, die ausgerechnet der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages selbst veröffentlicht hat. Studien deuten zudem darauf hin, dass nikotinhaltige elektronische Zigaretten den Rauchstopp herkömmlicher Tabakprodukte effektiver unterstützen können als konventionelle Nikotinersatztherapien wie zum Beispiel Nikotinpflaster oder -kaugummi.[1]
Den Vorteil von E-Zigaretten zeigen auch Daten der britischen Gesundheitsagentur Public Health England (PHE). Danach werden beim Konsum von nikotinfreien E-Zigaretten-Liquids 95 Prozent weniger Schadstoffe inhaliert als bei herkömmlichen Tabakerzeugnissen. In Frankreich berichtet die Gesundheitsbehörde Santé publique France, dass innerhalb von sieben Jahren 700.000 Personen erfolgreich aufgehört haben Tabak zu rauchen – auch dank E-Zigaretten.[2]
Stimmen der Branche
Der Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse (BVTE) glaubt daher, dass die Gesetzesnovelle mehr Schaden anrichtet als dass sie Nutzen bringt: „Speziell in Hinblick auf die für elektronische Zigaretten und Tabakerhitzer vorgesehenen Werbeverbote wird – trotz gestaffelter Umsetzungsfristen – im Ergebnis letztlich nicht ausreichend berücksichtigt, dass gemäß der übereinstimmenden Bewertung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und der Drogenbeauftragten der Bundesregierung der Schadstoffgehalt in den Emissionen dieser Produkte deutlich reduziert ist.“
Ähnlich äußert sich auch das Bündnis für Tabakfreien Genuss e.V. (BfTG): Elektronische Zigaretten würden „nachweislich die Raucherquote“ senken und wirkten „damit in bemerkenswerter Weise in dieselbe Richtung, auf die das Werbeverbot für Tabakerzeugnisse abzielt. Notwendig wäre eine eigenständige Erwägung mit Blick auf die technischen und gesundheitlichen Besonderheiten des Konsums von elektronischen Zigaretten. Dass eine solche nicht hinreichend stattgefunden hat, zeigt, dass es an tragfähigen Erwägungen fehlt.“
Viele Tabakfachgeschäfte nicht weiter „existenzfähig“
Der Bundesverband für den Tabakwaren-Einzelhandelt (BTWE) zeigt sich vor allem besorgt über die Auswirkungen auf die Tabakwarenläden. Steffen Kahnt, stellvertretender Geschäftsführer des BTWE, warnt vor deutlichen Einnahmeverlusten für Tabakwaren-Fachgeschäfte – sollte das Gesetz so beschlossen werden. Viele von Ihnen mussten angesichts der Anordnungen zur Eindämmung der Corona-Krise schließen und fürchten ohnehin um ihre Zukunft. Ein großer Teil der Fachgeschäfte wären als „Mono-Tabak-Läden“, überwiegend in Kleinstädten und auf dem Land, nicht weiter existenzfähig, so der BTWE: „Das Außenwerbeverbot und im Besonderen ein Außenwerbeverbot bei Tabakerhitzern und elektronischen Zigaretten lehnen wir aus gesundheitspolitischen Gründen ab.“
Doch die Bedenken der Branche, die in Deutschland viele Zehntausend Menschen beschäftigt und einen signifikanten Beitrag zu den jährlichen Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen leistet – sie verhallen bisher ungehört. Zwischen den beteiligten Ministerien des Bundes ist das Paket bereits abgestimmt. Sobald Brüssel grünes Licht gegeben hat, geht das Gesetzesvorhaben in den Bundestag und könnte dann noch mitten in der Corona-Krise beschlossen werden.
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[1] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(13)61842-5/fulltext
[2] https://www.bundestag.de/resource/blob/669360/082d0ada6a187ae1ca8b67b0516bfabc/WD-9-059-19-pdf-data.pdf