FDP-Politiker Gero Hocker: Tabakwerbeverbot „nur die Spitze des Eisbergs“
„Die freie Entscheidungsfindung macht das Leben aus“
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Gero Hocker (43) ist Sprecher seiner Partei für Ernährung und Landwirtschaft und damit auch für alle Themen rund um die Regulierung der Tabakbranche im deutschen Parlament zuständig. Im Interview mit REE:THINK erklärt der gelernte Bankkaufmann, warum er weitergehende Werbeverbote für Zigaretten und E‑Zigaretten ablehnt und kritisiert die ideologisch dominierte Debatte.
Interview
Herr Dr. Hocker, im Bundestag wird hinter den Kulissen heftig über ein mögliches totales Werbeverbot für Rauch- und Tabakprodukte gestritten? Was nervt Sie als Abgeordneten der FDP in der Auseinandersetzung um das Tabakwerbeverbot besonders?
Das Werbeverbot ist ja nur die Spitze des Eisbergs! Der darin enthaltene Absolutheitsanspruch und der Glaube, man könne mit Verboten die Welt retten, zieht sich doch mittlerweile durch alle Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens und gefährdet irgendwann sogar unsere Art zu leben. Nehmen Sie beispielsweise die Klimadebatte: Das Ziel der CO2-Neutralität Deutschlands wird von einigen Akteuren wie eine Monstranz vor sich hergetragen, wodurch andere "Nebensächlichkeiten" wie Arbeitsplatzsicherheit und günstige und verlässliche Energieversorgung völlig außen vor bleiben. Dass nationale Alleingänge nicht das Klima retten, sondern nur die heimische Wettbewerbsfähigkeit schwächen und uns abhängiger machen, ist bei der derzeitigen Diskussionskultur leider nur noch schwer zu vermitteln.
Ein Totalwerbeverbot bei Tabakprodukten reiht sich da passend ein. Obwohl bisherige Maßnahmen greifen und sich die Anzahl minderjähriger Raucher seit 2001 um circa 70% verringert hat, meint man, noch mehr aufsatteln zu müssen. Dass legale Produkte auch beworben werden können sollen und Gesetze dagegen sogar verfassungswidrig sein dürften, fällt hinten über.
Die Befürworter eines totalen Tabakwerbeverbots begründen Ihre Forderung mit einem besseren Jugendschutz. Sie halten dagegen. Warum?
Deutschland ist innerhalb der EU bei der Regulierung bereits jetzt Vorreiter. Erfreulicherweise sehen wir seit Jahren dauerhaft sinkende Zahlen bei jugendlichen Rauchern. In Frankreich gilt seit 1991 ein totales Verbot für Tabakwerbung. Dennoch ist die Zahl der jugendlichen Raucher zwischen 15 und 19 Jahren mit 15,3 Prozent nach offiziellen Zahlen von Destatis und Eurostat mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland mit 7%. Für ideologisch bedingten Aktionismus besteht daher aus meiner Sicht keinerlei Anlass.
Aber: Der Konsum von Tabakerzeugnissen ist selbstverständlich mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden und deshalb ist eine passgenaue Regulierung z.B. von Nikotingehalt und zulässigen Zusatzstoffen sinnvoll. Mir ist im Deutschen Bundestag zudem kein Abgeordneter bekannt, der ernsthaft das Abgabeverbot an Minderjährige zur Disposition stellen würde.
Politiker der SPD gehen so weit, Werbeverbote auch für Produkte ohne Tabak zu fordern - zum Beispiel E-Zigaretten. Was entgegnen Sie diesen?
Fehlende Werbemöglichkeiten zementieren die Marktmacht etablierter Unternehmen und erschweren es den risikoärmeren Innovationen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Dass ausgerechnet die SPD die "Großen" schützen möchte und die Grünen bei ihrem Gesetzesentwurf den Gesundheitsaspekt völlig außer Acht lassen, ist schon bemerkenswert. Die E-Zigarette ist nachweislich deutlich weniger schädlich als Tabakzigaretten. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass Raucher konventioneller Zigaretten sukzessive umsteigen, wenn sie schon nicht ganz aufhören können. Am meisten schockiert mich allerdings der ordnungspolitische Dammbruch der Union in dieser Frage.
Wie gut, dass es wieder ein liberales Korrektiv im Deutschen Bundestag gibt.
Zu den Gegnern eines Werbeverbots gehören zahlreiche Wirtschaftsverbände, die Sorge haben, dass nach dem Werbeverbot für Tabak auch Werbeverbote für Süßigkeiten, Wein oder Computerspiele kommen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Eine Art "Nanny" State, der jede Verbraucherentscheidung vorgeben würde – vom Tabakprodukt über den Zuckeranteil in der Limonade bis hin zur Verpackungsgröße von Fertigprodukten – lehne ich entschieden ab. Solche Freiheitseinschränkungen der Politik haben nicht nur schädliche Nebenwirkungen, sondern wollen den Bürger auch für dumm verkaufen. Man muss aber leider festhalten: Solche Maßnahmen sind politisch opportun und deshalb sind die Sorgen freiheitsliebender Menschen nicht unbegründet.
Haben Sie nie gedacht, dass der Staat vielleicht manche Menschen vor sich selbst schützen muss?
Das Leben ist voller Risiken – ob Tabakkonsum über Alkoholgenuss bis hin zur Schokolade am Abend oder kurvenreiche Ausfahrten mit meinem Motorrad am Wochenende. Politik hat aber nicht Richter darüber zu sein, wie mündige Bürger ihre Zeit gerne verbringen. Ich behaupte, dass in allen vier genannten Beispielen die langfristig möglichen Auswirkungen hinlänglich bekannt sind und dennoch diese Entscheidung bewusst getroffen wird. Eben diese Entscheidungsfreiheit macht das Leben aus und ist aus meiner Sicht eine Frage der Selbstbestimmung. Wenn ein Kollege im Ausschuss diesen Umstand regelmäßig kritisiert und die Tabakunternehmen als raffgierig darstellt, muss ich schmunzeln: Ungefähr 75% des Verkaufspreises fließen an den Staat, der im Vergleich zu den Unternehmen kein Risiko trägt, aber dem Verbraucher weitaus stärker in die Tasche greift.
Sie selbst fahren gerne Motorrad. Rauchen oder dampfen Sie auch?
Sehen Sie, ich bin weder Zigarettenraucher noch Dampfer, sondern gönne mir lediglich ab und an eine gute Zigarre. Obwohl ich folglich keine Aktien in dem Thema habe, geht es mir um eine Haltung: Der Staat muss klare Rahmenbedingungen setzen, Politiker sollten aber nicht ihre persönlichen Ansichten einer optimalen Lebensführung auf den Bürger übertragen. Solange ich als mündiger Verbraucher keinen anderen Menschen schade, muss die Konsumentscheidung mir selbst überlassen werden.
Mit der E-Zigarette und Tabakerhitzern kommen immer mehr Geräte für den Nikotinkonsum auf den deutschen Markt, die als weniger schädlich gelten. Wie beurteilen Sie die Rolle dieser neuen Produkte?
Am Beispiel der E-Zigarette und des Tabakerhitzers sieht man, dass der Markt funktioniert und auf die veränderten Präferenzen der Verbraucher Antworten gefunden werden. Ein größeres Gesundheitsbewusstsein ist begrüßenswert und spiegelt sich in den Innovationen wider. Ganz klar: Ein Totalausstieg jedes Rauchers wäre die beste Option. Wir sollten aber nicht die Augen vor der Realität verschließen, in der dies unzähligen Menschen nicht gelingen wird. Diesen Personen die Vorteile der neuen Produkte durch Werbeverbote vorzuenthalten, halte ich für fahrlässig.
In Kürze muss der Handelsweg jeder Schachtel Zigaretten europaweit lückenlos dokumentiert werden und für die Behörden nachprüfbar sein. Ist das ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Schmuggel mit Zigaretten?
Die Überwachung des legalen Tabakhandels zur Eindämmung des illegalen geht völlig am Ziel vorbei. Selbst die Bundesregierung gibt zu, dass "das in Rede stehende Rückverfolgbarkeitssystem keinen Mehrwert für die steuer- oder steuerstrafrechtliche Aufgabenwahrnehmung des Zolls hat" – tut allerdings wenig dagegen. Ich fordere, dass solch unsinnige Vorgaben aus Brüssel besser geprüft werden und gerne auch mal ein Schritt zurück gemacht wird. Deshalb muss aus meiner Sicht spätestens mit der Gesetzesevaluierung die vorgesehene Ausweitung auf die übrigen tabakhaltigen Genussmittel gestoppt werden. Was bereits jetzt nicht zielführend ist, kann durch die Übertragung auf weitere Tabakprodukte, die keinerlei Schmuggelaktivitäten aufweisen, nicht richtiger werden.
Herr Dr. Hocker, vielen Dank für das Gespräch!