Tabakfreie Nikotinbeutel: BfR befürwortet sinnvolle Regulierung
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat am 7. Oktober 2022 eine aktualisierte Stellungnahme zur gesundheitlichen Bewertung von tabakfreien Nikotinbeuteln veröffentlicht. Die Stellungnahme kommt zu dem Schluss, dass die Verwendung von Nikotinbeuteln anstelle von herkömmlichen Tabakzigaretten für aktive Raucher:innen eine risikoreduzierende Wirkung haben kann. Um tabakrauchbedingte Gesundheitsrisiken mithilfe von tabakfreien Nikotinbeuteln zu mindern, sei daher deren Qualitätskontrolle durch Maßnahmen der Standardisierung und Regulation sinnvoll. So weit, so erfreulich! Vor diesem Hintergrund braucht es nun aber auch die richtigen Rahmenbedingungen, die den Verkauf von Nikotinbeuteln in Deutschland verbraucherschutzkonform zulassen. Doch daran fehlt es leider nach wie vor.
Was sind eigentlich Nikotinbeutel?
Tabakfreie Nikotinbeutel sind Produkte für erwachsene Nikotin- und/oder Tabakkonsument:innen. Die Beutel enthalten vor allem Pflanzenfasern, Feuchthaltemittel, Aromen sowie Nikotin. Sie enthalten keinen Tabak und es findet bei ihrer Verwendung auch kein Verbrennungsvorgang statt. Stattdessen werden die Beutel unter die Oberlippe geschoben und wird das Nikotin über die Mundschleimhaut aufgenommen. Warum ist das wichtig?
Herkömmlicher Tabakrauch enthält bis zu 7.000 verschiedene Substanzen – darunter auch Nikotin. Rund einhundert davon gelten als Ursache oder mögliche Ursache für durch das Rauchen verursachte Erkrankungen. Nikotin ist zwar ein abhängig machender Stoff. Es ist jedoch weder krebserregend, noch die Grundursache von durch das Rauchen verursachte Krankheiten.
In Deutschland (noch) nicht erhältlich
Weil die Produkte im Gegensatz zum EU-weit nur in Schweden erlaubten „Snus“ keinen Tabak enthalten, fallen sie zurzeit auch nicht unter das deutsche Tabakerzeugnisgesetz. Stattdessen werden sie hierzulande als neuartige Lebensmittel eingestuft und sind aufgrund der Überschreitung der Referenzdosis für Nikotin bislang nicht verkehrsfähig. Diese Einschätzung wurde zuletzt im März 2021 durch ein Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Hamburg bestätigt.
Die Verbraucherschutzminister:innen der Bundesländer kamen jedoch im Rahmen ihrer jährlichen Konferenz im Mai 2021 zu dem Schluss, dass tabakfreie Nikotinbeutel aufgrund ihrer Zweckbestimmung als den Tabakerzeugnissen ähnliche Ware anzusehen sind – und daher im Tabakrecht geregelt werden sollen. Im Ergebnisprotokoll hieß es dazu: "Um künftige Entwicklungen tabakfreier nikotinhaltiger Erzeugnisse als Ersatz für Tabakerzeugnisse besser steuern zu können, ist es sinnvoll, für solche Produkte ein Zulassungsverfahren im nationalen Tabakrecht – wie bereits für neuartige Tabakzeugnisse vorgesehen – festzulegen."
Risikoreduzierung durch Nikotinbeutel
Die aktualisierte Stellungnahme des BfR zur gesundheitlichen Bewertung von Nikotinbeuteln beinhaltet neben einer umfangreichen Literaturrecherche auch die Ergebnisse eigener Untersuchungen. In einer detaillierten Studie von BfR-Wissenschaftler:innen zur stofflichen Zusammensetzung tabakfreier Nikotinbeutel von August 2022 wurde gezeigt, dass die meisten Beutel außer Nikotin keine gesundheitlich bedenklichen Stoffe enthalten. Auf einigen Verpackungen der untersuchten Produkte wurden keine Warnhinweise gefunden, und in einigen Proben fanden sich Spuren von tabakspezifischen Nitrosaminen (TSNA) ähnlich wie bei medizinischen Nikotinersatzprodukten. Diese könnten für Verwender:innen zwar negative Gesundheitsauswirkungen haben. Allerdings weist das BfR zugleich darauf hin, dass es technologisch ohne weiteres möglich ist, Nikotinbeutel ganz ohne TSNA zu produzieren.
Gesundheitliche Risiken tabakfreier Nikotinbeutel sieht das BfR insbesondere für Kinder, Jugendliche und Nichtraucher:innen, für Schwangere und Stillende sowie für Personen mit Herz-Kreislauferkrankungen. Das sind jedoch ausdrücklich nicht die Zielgruppen, an die sich diese (oder sonstige tabak- und/oder nikotinhaltige) Produkte richten. Die Zielgruppe sind vielmehr aktive erwachsene Raucher:innen herkömmlicher Tabakprodukte, die zwar auf Nikotin nicht verzichten aber dennoch von der Zigarette auf alternative und potenziell weniger schädliche Produkte umsteigen möchten.
Dieses grundsätzlich schadensminimierende Potenzial von tabakfreien Nikotinbeuteln im Sinne des Konzepts einer "Tobacco Harm Reduction" erkennt das BfR mit seiner jüngsten Stellungnahme nun erneut an: "Bei Berücksichtigung dieses Konzepts der Schadenminimierung könnte der Wechsel von Zigaretten zu Nikotinbeuteln eine Reduktion des gesundheitlichen Risikos für eine rauchende Person darstellen."
Dr. Thomas Nahde, Scientific Substantiation and Engagement Lead bei der Reemtsma-Muttergesellschaft Imperial Brands, ergänzt: "Der absolute Rauchstopp und der Verzicht auf jede Form des Konsums von Nikotin sind für die individuelle Gesundheit immer die beste Alternative. Wer hingegen kein Interesse daran hat, für den stellen neuartige Produkte wie tabakfreie Nikotinbeutel eine gute Alternative dar, um das eigene gesundheitliche Risiko potenziell deutlich zu senken. Das Prinzip der Schadensminderung hat in der gesundheitspolitischen Diskussion in Deutschland noch viel mehr Beachtung verdient und sollte sich viel deutlicher in einer entsprechend progressiven Regulierung niederschlagen."
Wie sollte es nun weitergehen?
Wir meinen: Die vom BfR zu Recht identifizierten Probleme – u. a. ein zu hoher Nikotingehalt pro Beutel, TSNA und mangelnde Produktkennzeichnungen – können mit einer zielführenden Regulierung relativ rasch behoben werden. Die Politik muss dafür jedoch die richtigen regulativen Rahmenbedingungen setzen, die für alle Marktteilnehmer verbindlich sind und einen Verkauf in Deutschland unter Wahrung adäquater Maßnahmen zum Jugend- und Gesundheitsschutz erlauben. Dazu zählen beispielsweise Maximalwerte für Nikotin pro Beutel, eindeutige Kennzeichnungspflichten und verbindliche Standards für Werbung und Vertrieb.
Das BfR hat mit seiner Stellungnahme eine sachlich fundierte und wissenschaftliche Grundlage dafür gelegt, an der sich die Entscheidungsträger:innen nun orientieren können. Nur so kann das zweifellos vorhandene Potenzial von tabakfreien Nikotinbeuteln im Sinne der Schadensminimierung für erwachsene Raucher:innen ausgeschöpft werden und effektiv seinen Weg in die praktische Anwendung finden.
Mehr über tabakfreie Nikotinbeutel als Chance für "Tobacco Harm Reduction" erfahren Sie auch hier.